Die Zeit der Weihnachtsmärkte ist wieder angebrochen. Die heutigen Weihnachtsmärkte reizen mich so gar nicht mehr. Es scheint nur noch zwei Varianten zu geben: den klassischen Weihnachtsmarkt mit den ganzen gewerblichen Verkaufsbuden und den historisch angehauchten Markt.
Gerne erinnere ich mich an den Weihnachtsmarkt aus meiner Heimatstadt. Der war früher, als ich dort noch wohnte, schon eine rühmliche Ausnahme. Zunächst mal fand der Weihnachtsmarkt nicht über mehrere Wochen, schon vor Beginn der Adventszeit statt, sondern nur an den vier Adventssonntagen. Um 11 Uhr ging es los, und gegen 19 oder 20 Uhr war Feierabend und alle Stände wurden abgebaut. Lediglich einige sperrige Wagen und die wenigen Fahrgeschäfte durften stehenbleiben.
Getragen wurde der Weihnachtsmarkt nur zu einem geringen Teil von gewerblichen Anbietern. Laut städtischer Vorgabe waren dies seinerzeit maximal ein Drittel der Teilnehmer. Die restlichen zur Verfügung stehenden Plätze waren reserviert für Schulen, diverse Vereine, Familien, die freiwillige Feuerwehr, lokale Händler… Die Stände wurden von der Stadt zur Verfügung gestellt. Das waren dann nicht die allseits bekannten Holzbuden, sondern eher einfache Marktstände, welche vereinzelt noch durch die Anbieter aufgehübscht wurden.
Das Angebot an den Ständen unterschied sich auch in vielen Details von denen der üblichen Weihnachtsmärkte. Gerne erinnere ich mich an den Stand, an dem eine Familie Fettgebackenes in einer ganz normalen haushaltsüblichen Fritteuse produzierte, darunter richtig schöne große Quarkbällchen. Ein paar Stände weiter gab es selbstgeschmierte Schmalzbrote, selbstgebackenen Kuchen, Pralinen aus eigener Herstellung, selbst produzierte Liköre und viele hausgemachte Leckereien mehr.
Unvergesslich ist der Stand zweier Familien, welche die besten Reibekuchen verkauft haben, die ich je auf einem Markt oder einer Kirmes gegessen habe. Der Teig war kein Gematsche, sondern bestand aus nur grob geriebenen Kartoffeln. Drei richtig große Reibekuchen gab es für 2,50 DM, Apfelmus oder Rübenkraut erhielt man ohne Aufpreis dazu. Überhaupt waren die Preise durch die Bank weg sehr human und grenzten sich deutlich von denjenigen der gewerblichen Anbieter anderer Märkte ab. Das Gewinnstreben war einfach nicht so ausgeprägt.
Auch Kunsthandwerk fand sich. Stets gab es den Stand des örtlichen Imkers, der neben seinem Honig auch selbst gemachte Kerzen und andere Produkte aus Bienenwachs anbot. Ein Heimwerker verkaufte individuelle Krippen aus eigener Herstellung, und die Abschlussklasse des örtlichen Gymnasiums offerierte gebrauchtes Spielzeug; der Erlös wurde immer für einen guten Zweck gespendet. Der Gesichtsausdruck der vor Ort befindlichen Lehrerin sprach stets Bände, wenn ihre Schüler versucht haben, einen Gesamtpreis durch Kopfrechnen zu bestimmen. Ja, die Generation Taschenrechner zeigte Präsenz.
Am Kopfende der Einkaufsstraße, einer Tempo 20-Zone (kein Tippfehler), befand sich der Stand des
Löschzugs der örtlichen freiwilligen Feuerwehr. Der Stand war überschrieben mit „Zum feurigen Spritzrohr“.
Auch hier verkaufte man Reibekuchen. Die Feuerwehrmänner boten in Uniform und rot-weißen Rüschenschürzen einen sehr nachhaltigen Anblick. Direkt daneben wurden Misteln angeboten, und ein paar Meter weiter stand ein zu einer rollenden Bar umgebautes altes Feuerwehrauto aus den 50er Jahren. Ein echtes Highlight.
In der Nachbarschaft bot die Jugendfeuerwehr Mandarinenpunsch an, und die Mitarbeiter des heimischen Haushaltswaren- und Geschenkeladens stellten
Berliner und Krapfen her. Gegenüber gab es Erbsensuppe aus der Gulaschkanone, auf Wunsch auch im kleinen Eimer zum Mitnehmen. Diesen Geschmack bekommt man im heimischen kleinen Topf gar nicht hin.
Besonders auffällig an diesem Weihnachtsmarkt war auch, daß wirklich an jedem zweiten Stand neben der eigentlichen Ware auch Glühwein verkauft wurde. Ein Becher für 1,00 DM, mit Schuss für 1,50 DM. Gleiches galt für heißen Kakao. Ich rede bei den Preisen nicht von der guten alten Zeit in den 70ern, sondern von den späten 90ern. Glühwein und Kakao haben zu dieser Zeit anderen Ortes bereits 3,00 bis 4,00 DM gekostet. Auch die bepfandeten Tassen bzw. Becher waren liebevoll mit Motiven aus der Stadt versehen.
Die örtliche Eisdiele, praktischerweise in der Einkaufsstraße gelegen, hatte noch ganzjährig geöffnet. Meine damalige eissüchtige Freundin zerrte mich bei dichtem Schneefall rein, und wir beide kamen mit Monsterportionen Eis wieder ins Freie. Die eisigen Temperaturen und der Schnee haben dem Geschmack des Eises nicht geschadet. Allerdings mussten wir einige verstörte Blicke anderer Weihnachtsmarktbesucher ertragen.
Irgendwie hatte dieser Weihnachtsmarkt noch was ehrliches, heimisches, wirklich weihnachtliches Flair. Er hatte einen guten Ruf, so daß die Besucher tatsächlich von weit her kamen. Leider veränderte sich das auch im Laufe der Zeit, und die Zahl der gewerblichen Teilnehmer nahm zu. In den letzten beiden Jahren, in denen ich den Weihnachtsmarkt besuchte, gab es den Reibekuchenstand der beiden Familien schon nicht mehr. Und den haben wir seinerzeit an allen vier Adventssonntagen zwei Mal, nämlich mittags und abends, aufgesucht. Meine Wohnung lag ja ganz in der Nähe, so daß es möglich war, da mal eben kurz hinzuschlendern.
Ich war seit Jahren nicht mehr da, aber vielleicht machen meine damalige Freundin - die heutige zweitbeste Ehefrau von allen - und ich dieses Jahr wieder einen Besuch. Möglicherweise ist es aber auch besser, es sein zu lassen und die guten Erinnerungen zu behalten. Ich weiß es nicht.
Nachtrag: Wie ich zwischenzeitlich erfahren habe, findet dieser Weihnachtsmarkt nicht mehr statt. Schade.