Der Aufbruch zum Krankenhaus wird sich etwas verzögern. Die
zweitbeste Ehefrau von allen hat wegen ihres Fußleidens einen Termin, bei dem
sie
in die Röhre gucken darf. Natürlich
braucht das alles seine Zeit. Auf dem Rückweg zum Auto gerät sie in einen
Wolkenbruch. Sie lässt mir ein
Selbstportät Selfie zukommen. Ja, da ist
jemand nach kaum 20 Metern Fußmarsch ordentlich durchnässt. In diesen Tagen
gibt es nur zwei Alternativen: Entweder ist man nassgeschwitzt oder
nassgeregnet. Die Frage, ob der warme Schauer das angenehmere Übel sei, möge ein
jeder für sich selbst beantworten.
Ich packe meine Tasche und stelle mich rein vorsorglich darauf
ein, bis Montag im Krankenhaus zu bleiben. Sicher ist sicher, ich bin gerne
vorbereitet. Wir erreichen das Krankenhaus zur Mittagszeit und bewegen uns
zielstrebig in die Not-Notaufnahme. Weiterhin sind wir übereinstimmend der
Meinung, daß dies nicht so ganz richtig sein kann, aber wir tun erst mal so,
wie mir ärztlicherseits geheißen.
Die Not-Notaufnahme ist nicht gerade überlaufen. Vor mir in
der Reihe steht eine Dame, abgestützt auf zwei Krücken Gehhilfen. Sie
gibt ihrem Mann weitere Anweisungen, welche Tasche er von wo auch immer zu
besorgen habe. Es geht ihr nicht gut, sie schwankt etwas und lehnt sich gegen
die offene Tür zur Patientenannahme.
Eine Krankenschwester erscheint mit einem Patienten im
Elektro-Rollstuhl. Sie möchte in die Not-Notaufnahme; der Weg dorthin führt
zwangsläufig an der Patientenaufnahme vorbei. Da der Zugang für den
Elektro-Rollstuhl äußerst knapp bemessen ist und sie diese nur passieren kann
wenn der Rollstuhl exakt gerade ausgerichtet ist, bittet sie die Dame vor mir,
Platz zu machen. Diese verneint das Ansinnen mit dem Hinweis, daß ihr
schwindelig sei. Kaum ausgesprochen, sackt sie auch schon zur Seite weg. Die
Krankenschwester greift zu und ruft in Richtung der Patientenaufnahme um Hilfe.
Eine Frau in schwarzem Oberteil aus dem Wartebereich springt auf, stellt sich
in die Nähe des Geschehens und beginnt - zu glotzen. Die unmittelbar dabei
sitzende zweitbeste Ehefrau von allen springt ebenfalls hoch, schubst die
Glotzerin zur Seite und unterstützt die Krankenschwester bei der Stabilisation
der zusammengebrochenen Dame. Ich selbst habe hinter allen Beteiligten stehend nichts
unternommen, denn ich habe von meiner Position aus gesehen, daß ein Arzt
zufällig an dem Tresen der Patientenaufnahme stand und zur Stelle sein würde,
noch bevor ich mich selbst in eine zweckdienliche Position bringen könne. Ich
hätte erst einen Sprint an der Gerätetasche vorbei um alle Beteiligten herum
anstellen müssen, also scheint es so eindeutig sinnvoller zu sein. Alles geschieht
in wenigen Augenblicken. Es ist in der Nachschau interessant, welche Abwägungen
in derart kurzer Zeit möglich sind. Die Glotzerin glotzt hirnlos weiter, bewegt
sich nicht vom Fleck und scheint über etwas nachzudenken. Vermutlich überlegt
sie (Achtung, böswilliges Vorurteil!), warum sie nicht schnell genug ihr
Smartphone zücken konnte. Es wäre so eine schöne Aufnahme geworden. Warum ging
das auch alles so schnell? Und dann wurde sie ja auch noch von der fremden Frau
gestoßen. Ja quasi tätlich angegriffen. Sehr ärgerlich.
Nachdem die Dame versorgt ist werde ich aufgefordert
einzutreten. Aha, die Ablauforganisation hat sich seit meinem letzten Besuch wohl etwas verbessert. Ich zeige meine
Einweisung und schildere mein Anliegen. Wenig überraschend teilt man mir mit,
daß dies wohl eher keine Sache für die Notaufnahme wäre. Bevor ich etwas sagen
kann, fängt die Dame an der Patientenaufnahme an, vor sich hin brummelnd, man
sei ja nicht auch noch dafür zuständig denjenigen rauszusuchen, den man mit
meinem Problem behelligen könne, eine Telefonnummer ausgegraben, bei der sie
auch direkt anruft. Nein, der eigentlich zu Erreichende sei gerade bei Tisch
und ich möge einen Termin auf Station 3 vereinbaren. So verließ ich die
Not-Notaufnahme.
Einen Termin zu holen ist jetzt nun eine wenig
weiterführende Lösung. Meine Krankschreibung dauert nur noch bis Dienstag,
heute haben wir Freitag. Ich muß die Zeit nutzen, mich an den Ablauf mit dem
Beatmungsgerät zu gewöhnen, bis ich wieder arbeiten gehe. Das wird eng.
Station 3 ist die Station mit Patienten, welche deutlich ernsthaftere
Beatmungsprobleme haben. Das kann nicht so ganz richtig sein. Also beschließen wir,
die Station 1 aufzusuchen, auf welcher ich in der Woche zuvor gelegen hatte.
Ich melde mich am Etagenstützpunkt, trage mein Anliegen vor und gebe auch den
Zettel mit der Telefonnummer weiter, welche man mir in der Not-Notaufnahme
mitgegeben hatte. Nein, einen
dazugehörigen Namen habe ich nicht. Man vergleicht die Nummer mit einer
Übersicht und stellte fest, daß diese zum Atemtherapeuten auf der eigenen
Station gehöre. Prima, damit bin ich schon mal nicht ganz verkehrt. Dieser sei allerdings
gerade nicht am Platz, man werde ihn benachrichtigen, ich möchte so lange im
Wartezimmer auf der Etage Platz nehmen. Aber gerne doch. Warten kann ich. Es
gibt Phasen in meinem Dasein, zu denen ich durchaus der Überzeugung bin, daß
mein Leben überwiegend darin besteht darauf zu warten, daß andere Menschen
irgendwann mal den ihnen zugewiesenen Part eines Handlungserfordernisses erledigen,
damit ich endlich mit meinem Teil des Anstehenden zielführend beginnen kann.
Das Wartezimmer erweist sich als ehemaliges Einbettzimmer.
Markante Farbfelder an den Wänden, dazu einige nicht mehr genutzte Anschlüsse
sprechen eine deutliche Sprache. Das Mobiliar stammt vermutlich aus den 80ern
oder frühen 90ern. Auf einem Sideboard liegen Bücher herum. So wie die aussehen
würde ich die nicht mal mehr mit der Kneifzange anpacken. Ich frage mich, wer
so verwegen wäre, diese noch lesen zu wollen. Vielleicht genügt aber auch der Einsatz von ein paar
Gummihandschuhen, wie sie hier auf jedem Zimmer in unterschiedlichen Größen in
ausreichender Anzahl vorzufinden sind.
Das Mittagessen wird verteilt. Während ich zu Hause schon
vorsorglich ein paar vom Vorabend übrig gebliebene
Falafel zu mir
genommen hatte, ist die zweitbeste Ehefrau von allen noch – um in Klinikjargon
zu bleiben – nüchtern. Der Geruch des Essens spricht sie gerade nicht
sonderlich an, aber die direkte Sicht auf einen Becher Schokoladenpudding mit
Sahne setzt ihr schon zu. Wir warten weiter. Und warten. Ich bin da ja – wie
bereits erwähnt - ein durchaus geduldiger Typ, zumal man ja unangemeldet in
einen eher vorgeplanten Ablauf hineinschneit, doch die zweitbeste Ehefrau von
allen weist mich dezent darauf hin, daß in einer halben Stunde Schichtwechsel
sei. Diesen wähne ich eine Stunde später, erkenne aber meinen Irrtum und bin
daher auch gewillt, ihren Hinweis zu akzeptieren und die sich daraus ergebenden
Konsequenzen zu ziehen. Denn bis zum Schichtwechsel
sollte die Sache hier schon erledigt sein, denn
sonst könnte es schwierig werden. Ich hätte aber auch nicht gedacht, daß es
schon so spät ist.
So mache ich mich wieder auf dem Weg zum Stützpunkt. Hier
treffe ich auf Schwester Betty, und auch
der Hase läuft kurz durch mein Blickfeld. Schwester Betty schaut mich an.
„Hmmm, wir kennen uns aber auch.“
„Ja, wir haben hier
letzte Woche zwei Nächte miteinander verbracht. Und schauen Sie mal: Ich habe
extra für Sie nichts Gelbes mitgebracht.“
Mit diesen Worten präsentiere ich mein sehr geschmackvolles rotes
T-Shirt mit dem Karibik-Bild auf der Front. Ein erkennendes Grinsen auf ihrem
Gesicht zeigend wendet sich Schwester Betty der neben ihr sitzenden Kollegin
zu:
„Weiß du, ich hasse Gelb. Herr Paterfelis ist da wirklich
sehr rücksichtsvoll.“
Wiederum erörtere ich mein Anliegen. Zufällig kommt in
diesem Moment der Atemtherapeut vorbei, welcher direkt durch Schwester Betty
abgefangen wird. Nach einem kurzen Wortwechsel kommt sie wieder zu mir zurück. Ja, bitte gehen Sie nochmal ins Wartezimmer,
er wird gleich bei Ihnen sein.
Nach wenigen weiteren Warteminuten betritt dann auch der Atemtherapeut
das Wartezimmer. Er stockt kurz.
„Wir haben uns aber auch schon mal gesehen.“
„Richtig, letzte Woche
hatten wir schon mal das Vergnügen.“
Ja, mich vergisst man nicht so schnell.
Zum was weiß ich wie vielten Mal erzähle ich von meinem
Problem. Als ich zu der Stelle gelange, an dem ich den Hinweis auf das von der
Verordnung abweichende Gerät einbringe, zieht er eine Augenbraue hoch, sagt
aber nichts weiter. Ich betone nochmals, daß ich nicht darauf herumreite, daß
es zwingend am Gerät liegen muß, mir die Information aber durchaus erwähnenswert
erscheint. Der Atemtherapeut nimmt das Beatmungsgerät mit nach nebenan und
liest die Daten aus. Er kommt zurück und bestätigt, daß die Einstellungen
stimmen. Mit dem Entlassungsbericht in der Hand geht er wieder nach nebenan und
fängt an zu telefonieren. Zum größten Bedauern der zweitbesten Ehefrau von
allen ist es gerade etwas laut auf dem Flur, die Reste vom Mittagessen werden abgeräumt.
Sie versteht nur wenige Worte des Telefonates.
Nach einiger Zeit kommt er wieder. Er habe mit der Firma
Katzenfels gesprochen. Das Gerät sei ausgetauscht worden, weil entsprechende
Verträge mit meiner Krankenkasse bestehen würden. Also wie vermutet eine reine
Sparmaßnahme, denn das mir überlassene Gerät sei deutlich billiger. Nunmehr
würde er eine neue Verordnung ausschreiben und auf das Erfordernis hinweisen,
das tatsächlich verordnete Gerät auszuliefern. Es kann schon mal vorkommen, daß
trotz gleicher Einstellungen auf verschiedenen Gerätetypen abweichende
Leistungswerte erbracht werden, insbesondere auch was die Stärke und Ausgestaltung
der Luftströmung angeht. Und genau das sei ja wohl auch mein Problem.
Übernachten müsse ich deswegen nicht im Krankenhaus, eine Testphase sei nicht
erforderlich. Er gibt mir die Einweisung zurück und weist mich darauf hin, daß
ich bei weiteren Problemen gerne direkt zu ihm kommen könne.
Ja, das ist meine Vorstellung von einem ordentlichen Ablauf.
Doch noch sind wir hier nicht fertig. Da war ja noch etwas.