Montag, 11. Juni 2018

Vorstellungen, Teil 6 - Auf Station

Ich werde direkt an den Tropf gelegt. Kochsalzlösung gegen die Dehydrierung. Später wird es auf diesem Weg regelmäßig ein Antibiotikum geben. Die Krankenschwester zeigt mir, wie ich mich an die Sauerstoffversorgung anschließe und damit umzugehen habe. Man habe mir ja unten bereits alles erklärt. Ich eröffne ihr, daß ich noch nicht mal weiß, warum ich überhaupt hier auf Station eingelagert werden soll, weil niemand mit mir gesprochen habe. Sie ist hellauf begeistert und verweist auf den Arzt, welcher mich noch im Laufe des Tages aufsuchen wird.

Den Sauerstoff gibt es direkt in die Nase und ab geht es. Ohne Sauerstoff darf ich aufs Klo und mir Getränkenachschub holen. Verbringe ich meine Zeit auf dem Balkon, habe ich ein mobiles Sauerstoffgerät mitzuführen. Die Schwester bedient sich des Zugangs auf meinem rechten Handrücken und schließt mich an den Tropf an. Unmittelbare Zuführung eines Antibiotikums ins Blut. Immerhin sind die Flaschen deutlich kleiner als beim letzten Mal. Wenn der Zugang hält, kann ich meinen Vorstellungen entsprechend morgens duschen. Gummihandschuh drüber und fertig. Eine meiner größten Sorgen hat sich damit erledigt. Eigentlich im Moment sogar meine einzige echte Sorge.

Der Sauerstoffgehalt meines Blutes wird erneut gemessen; das Ergebnis verursacht Stirnrunzeln.

Im Nachbarbett ist es laut. Der dortige Patient, Herr Fleische wie Fleischer ohne „R“, ist ehemaliger Polizist, wie ich noch erfahren soll. Seine Lungenfunktion ist ziemlich am Ende, seine mentalen Kapazitäten sind etwas eigen strukturiert. Er ist nicht unsympathisch, wenn man sich an ihn gewöhnt hat. Ich schätze ihn auf deutlich über siebzig Jahre, vermutlich ist er aber jünger. Sein Aufenthalt hier ist routinemäßig. Seine Laborwerte haben sich verschlechtert, er muß jetzt und für künftig regelmäßig nachts durchgehend und am Tag über Stunden eine Atemmaske tragen. Das Ding sitzt noch nicht richtig, die damit verbundenen Abläufe stimmen auch noch nicht. Ich bin froh, meine Ohrenstöpsel eingepackt zu haben. Sie werden sich als äußerst segensreich erweisen.

Zu meiner Rechten auf der Fensterseite befindet sich Herr Reinmann. Er ist älter sein als ich, steht vielleicht kurz vor der Rente. Seine Zähne Zahnstummel scheinen mir ausnahmslos silbern überkront zu sein. Auch er hat– wen wundert es, befinden wir uns doch auf der Station für Atemwegserkrankungen – ein Lungenproblem. Ehemaliger Raucher. Hat nach fünfzig Jahren aufgehört, als er wähnte, etwas am Herzen zu haben. Hat er nicht, wie sich in den nächsten Tagen noch herausstellen wird. Dennoch war dies der Auslöser für einen Aufenthalt hier. Er wünscht sich intensiv, von der Zigarette weg bleiben zu können. Seine Frau ist ebenfalls starke und bereits erkrankte Raucherin. Sie wird nicht aufhören, so sagt er. Über verschiedene zwangsläufig mitgehörte Telefonate bekomme ich mit, wie sie ihre Haltung wiederholt bestätigt. Ich denke, seine Chancen stehen damit eher ungünstig. Anders kann ich es mir nicht vorstellen, dazu fehlt mir echt die Fantasie.

Ein junger Mann erscheint und stellt sich als Stationsarzt vor. Wie sich die Zeiten ändern. Früher musste man erst studieren, bevor man Arzt werden darf. Der Knabe da sieht aus, als ob er gerade erst sein Abitur gemacht hätte. Egal, gehen wir mal davon aus, daß ich mich nicht in der versteckten Kamera befinde und alles seine Ordnung hat. Ich habe kein Problem mit Berufsanfängern.

Er beginnt mit den Worten „Wie Sie schon wissen…“. Ich unterbreche mit dem Hinweis, daß ich weiterhin noch nicht mal weiß, warum ich überhaupt hier bin. Er stockt und erklärt mir die Lage. Ich habe wohl eine Bronchitis. Bronchitis? Für so etwas muß man ins Krankenhaus?  Echt jetzt? Ich bin irritiert. Außerdem habe man festgestellt, daß die Sauerstoffsättigung meines Blutes eher dürftig ist. Deutlich unterhalb akzeptabler Werte. Das Aufrechterhalten der Funktionsfähigkeit des Körpers unter diesen Bedingungen ist sehr kräftezehrend, was meine höhere Müdigkeit und die scheinbar – ich selbst merke es nicht so richtig – reduzierte Leistungsfähigkeit erklären würde. Die Dauer meines Aufenthaltes wird auf drei bis vier Tage veranschlagt. Ich verspreche dem Arzt, ihn nicht zu verklagen, falls es denn ein Tag mehr wird.

Die zweitbeste Ehefrau von allen verschwindet, um ihren weiteren Verpflichtungen nachzukommen. Die Kursteilnehmer warten. Sie ist etwas beruhigter und hat sich die ganze Zeit ihre Sorgen darüber gemacht, aus welchem Grund ich hierbehalten werde. Dazu kam das sie sehr belastende Zwischenergebnis ihrer eigenen orthopädischen Untersuchung. Ich verteile meine Sachen und hau mich wieder in die mittlere Koje. Im Zimmer ist es warm und drückend, das Fenster steht einen Spalt weit offen. Die beginnende Abendsonne erwischt uns voll.

Ich warte. Essen gibt es für mich nicht mehr, zum Zeitpunkt der Aufnahme auf der Station war das Mittagessen schon durch. Macht auch nichts, ich hatte heute Morgen einen Keks zum Frühstück und bin auch weiterhin nicht hungrig. Außerdem gibt es Abendessen ja sehr früh im Krankenhaus.

In den nächsten Tagen wird uns Ali immer wieder besuchen. Insbesondere mit Herrn Reinmann ergeben sich kurze Gespräche, bei denen Ali mit Eukalyptusbonbons versorgt wird. Ali ist nach eigenen Angaben 90 Jahre alt und 1964 mit der frisch verwitweten Mutter und zwei Brüdern aus Marokko nach Deutschland gekommen. Er beschwert sich, daß seine Kinder ihn noch nicht alle besucht haben. In zwei Tagen wird er entlassen werden. Bis dahin sollen noch häufiger die Worte des Pflegepersonals erschallen: „Herr Ali, dies ist nicht Ihr Zimmer!“ Aber er ist keine Belastung. Wir lassen ihn gewähren. Nach ein paar Minuten verschwindet er stets wieder.

So liege ich in meinem eigenen Saft badend, verschwitzt und stinkend in meinem Bett, lese ein Buch und warte. Es gibt nochmal ein Antibiotikum, dann gilt es, eine Mütze Schlaf mitzunehmen. Mein Dauerproblem drängt sich in den Vordergrund: Wann ist morgens der günstigste Zeitpunkt, um zu Duschen?



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