Die letzten Tage in dieser Woche sind meine einzige
Gelegenheit, die aufgrund der verschiedenen Sonderaufgaben seit ein paar Wochen
liegen gebliebenen Neuanträge zu bearbeiten. Ab Montag geht die Tretmühle
wieder los. Sonderaufgaben, Zusatzaufgaben, neue Vertretungen. Und irgendwann
kommt auch die Azubinette wieder, die sich gerade zur Prüfungsvorbereitung in
einem Internat befindet.
Um Raissa und Trudi nicht vollends in den Wahnsinn zu treiben, habe
ich mich in Frau Kuchenbäckers verwaistes Büro zurückgezogen. Hier kann ich die
Tür hinter mir schließen und ohne schlechtes Gewissen schniefen, schneuzen, husten,
keuchen und die Nase hemmungslos hochziehen. Ist ohnehin gesünder. In diesem
Büro stehen zwei Schreibtische. An Frau Kuchenbäckers Platz habe ich gar nicht
erst versucht, mich entsprechend auszubreiten. Die Tischplatte ist mit allem
möglichen Zeug zugestellt, das freie Arbeitsfeld ist für mein Empfinden winzig.
Also habe ich vom Tisch gegenüber ein paar von Frau Kuchenbäckers ausgelagerten
Grünpflanzen entfernt, die Kaffeemaschinen der Kollegen aus einem anderen Raum
umplatziert, so daß ich an den Drucker herankommen und ihn füttern kann, und mich nur mit dem nötigsten Arbeitsmaterial
entsprechend eingerichtet. Zum Schluß noch per E-Mail ein Warnhinweis an alle
Kollegen: Quarantänestation. Wer reinkommt ist selber schuld.
Sie kommen trotzdem.
Ich sehe mich nur in der Lage, eher einfache Probleme der
Kollegen zu lösen. Genau wie bei meinen Neuanträgen. Alles, was seit Mittwoch
zu mir zur Bearbeitung oder Entscheidung vorgelegt wurde, ignoriere ich weg.
Von den alten Neuanträgen, dies es zu mir auf den Tisch geschafft haben, können
gut die Hälfte sofort erledigt werden, ein kleiner Teil wandert zurück in den
Schrank, weil sie mir mit den erkältungsbedingt reduzierten mentalen
Kapazitäten gerade zu schwierig erscheinen. Man muß es ja nicht drauf ankommen
lassen. Bei dem verbliebenen Rest muß ich ermitteln, Rückfragen bei der
Kundschaft oder anderen Stellen auf den Weg bringen. Die Hälfte dieser Anfragen
hätte schon seit Jahren erledigt sein können. Denn das sind Vorgänge, die
bereits mal aufgrund einer früheren Antragstellung von einem LASA eines anderen
Bundeslandes bearbeitet wurden, aber das mit offensichtlichen Mängeln. Es ist in
der Branche bekannt, daß unsere Rechnungsprüfer die härtesten Hunde im
Bundesgebiet sind und man es da anderen Ortes wesentlich leichter hat. Kann man
gut finden. Kann man auch sein lassen. Ich bin da etwas zwiespältig. Doch die Situation ist zu diffizil, um sie
hier und jetzt näher erläutern zu wollen.
Mir gefällt das Einzelbüro. Es ist seit Jahrzehnten ein
Traum von mir, in einem Einzelbüro zu sitzen. Keine Chance auf Verwirklichung.
Alle Fenster stehen auf Klappe, frische Luft strömt rein. Es herrscht – von den
Geräuschen der Außenwelt und den gelegentlichen Störungen durch die Kollegen
abgesehen – eine himmlische Ruhe. Arbeitsatmosphäre pur. Herrlich. Insbesondere
die weiblichen Kollegen, die mich in der Quarantänestation heimsuchen, frieren
hier. Nein, es ist angenehm. Mir ist es angenehm. Frau Kuchenbäckers Innenraumthermometer zeigt etwas
über 18 Grad an. Das reicht mir vollkommen aus. Andere Räume in unserer Außenstelle explodieren förmlich bei Innentemperaturen von 24 Grad. Da läuft die Heizung noch, und die Insassen tragen Pulli.
Als ich gegen Mittag in mein angestammtes Büro zu Raissa und
Trudi musste, um etwas zu holen, stand ich im Dämmerlicht vor einer Hitzemauer.
Das Deckenlicht störte eine der Damen; die geschlossenen Fenster sollten den
Außenlärm auch außen halten. Sauerstoff wurde mal wieder überbewertet und
könnte zu klaren Gedanken führen. Teufelszeug. So etwas sollte verboten werden.
Und ohne Beleuchtung ist es mir in dem Raum selbst bei strahlendem Sonnenschein
zu dunkel. So kann ich nicht arbeiten. Aber das ist ein Problem für Montag, wenn
ich wieder an meinen alten Platz umziehe.
Ich habe gelesen, daß mal wieder der Weltuntergang
vorhergesagt wurde. Für den 23. April, wenn ich mich mein Gedächtnis gerade nicht trügt. Das
erinnert mich daran, daß ich mich frage, warum ich das alles überhaupt noch
mache. Freitag habe ich tatsächlich morgens eine halbe Stunde lang den
Radiowecker überhört. Sonst bin ich es, der wach im Bett liegend darauf wartet,
daß er anspringt und mir die Zeit vorgibt, wann ich aufstehen sollte. Jetzt war
es anders. Eine Folge des tödlichen Männerschnupfens. Die zweitbeste Ehefrau
von allen wunderte sich weniger darüber, so wie ich angeblich die Nacht
durchgehustet hätte.
Das Ende ist mal wieder näher als man denkt.
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