Am nächsten Tag habe ich wieder einen Termin beim
Lungenarzt. Die Auswertung der Untersuchungen vom Vortag sowie meines
Nachtschlafes stehen an. Da die zweitbeste Ehefrau von allen für den Vormittag
keinerlei eigenen Aktivitäten nachzugehen wünschte, unterliegt Balduin meiner
Verfügungsbereitschaft.
In der Nähe der Praxis gibt es zahlreiche Parkplätze, jedoch
nichts Kostenfreies. Hier am Neustädter
Stadtrand sind die Parkgebühren jedoch recht moderat. Ich parke Balduin auf
einem schattigen Plätzchen und beginne mit meinen Überlegungen. Man hat mir
gesagt, ich möge in der Praxis zwischen 8.00 und 9.00 Uhr vorstellig werden. Ab
9.00 Uhr beginnt der reguläre Terminbetrieb. Das Parken ist hier bis 9.00 Uhr
kostenlos, erst danach werden Parkgebühren verlangt. Zu meinem größten Bedauern
erfolgt die Berechnung dieser Gebühren nicht – wie bei einem Parkhaus – nach
der tatsächlich dort verbrachten Zeit, sondern mittels einer vorab großzügig zu
erbringenden Schätzung hinsichtlich der möglichen Verweildauer, verbunden mit
dem Ziehen eines Parkscheines.
Es ist 7.50 Uhr. Die Abläufe und insbesondere die Zielgenauigkeit
der Terminverfolgung in der Praxis sind mir noch nicht sicher vertraut. Am
Vortag lief alles zügig. Ich bin pünktlich drangekommen. Mir wurde eine bei
Neupatienten übliche zweistündige Anwesenheitszeit in der Praxis angekündigt,
welche man auch eingehalten bzw. knapp unterschritten hat. Doch aufgrund irgendwelcher Akutereignisse
kann sich natürlich alles wieder verzögern. Wenn ich einmal meinen vorübergehenden
Aufenthalt in der Praxis genommen habe, werde ich diese nicht um 9.00 Ihr
zwecks Entrichtung der nun fälligen Parkgebühren verlassen. Das ist sicher. Also
bauen wir eine Sicherheitsreserve ein.
Ich versuche zu ergründen, wie der Parkscheinautomat zu
bedienen ist. Eine zweifelsfreie Beschreibung ist nicht angebracht. Eher finden
sich einige Indizien. Zur Bestätigung der Parkzeit möge ich den mittleren Knopf
drücken, zum Stornieren den unteren. Was ich mit dem oberen Knopf zu tun habe,
weiß ich nicht. Außerdem fehlt mir der Hinweis, wie ich dem Gerät meine
angedachte Parkzeit begreiflich machen soll. Ja, das ist eine Situation, in der
sich Soziophobiker so richtig wohlfühlen. Nicht. Mich rettet der Umstand, daß
um diese Uhrzeit noch wenig los ist und sich tatsächlich niemand in der Nähe
befindet, welcher sich sonst noch für den Parkscheinautomaten interessiert. Was
mir jetzt allerdings noch fehlen würde wäre ein Klugscheißer, der mich darauf
aufmerksam macht, daß ich bis 9.00 Uhr kostenfrei parken könne und deswegen
doch gar nichts mit dem Automaten zu schaffen habe.
Mit diesem ständig vorhandenen Hintergedanken experimentiere
ich mit dem Automaten herum, bis ich eine Eingebung habe. Ich werfe eine Münze
ein und sehe, was geschieht. Auf dem Display des Automaten gibt es eine
Veränderung. Blöd ist nur, daß dieses Display aufgrund der Sonneneinstrahlung
so gut wie gar nicht lesbar ist. Ich verrenke meinen Kopf, ändere den
Sichtabstand zum Display in nahezu peinlicher Weise und erkenne eine angezeigte
Parkzeitdauer. Bis kurz vor zehn habe ich nun Zeit. Schön, das sollte reichen.
Ich bestätige per Knopfdruck und entnehme den gedruckten Parkschein.
In der Praxis weht wieder der Ventilatorensturm. Unter den
für mich sichtbaren Geräten sind einige bekannte Korb- und Towerventilatoren,
aber auch andere, optisch und somit vermutlich auch in der Funktionsweise
interessante Geräte dabei. Ich nehme mir vor, bei Gelegenheit mal danach zu
recherchieren.
Im Wartezimmer sind wir zu fünft. Ein unübersehbares Schild
weist ausnehmend eindeutig darauf hin, daß man sein Handy hier auszuschalten hat.
Für Analphabeten oder der Landessprache nicht mächtigen Patienten wurde dieses
Schild derart gestaltet, daß keine schwierigen Worte zu erkennen und nachfolgend
zu interpretieren sind. Nein, man hat sich um eine grafische Lösung bemüht. Das
Bild zeigt ein Handy, welches mit einer klar erkennbaren diagonalen Linie
durchgestrichen wurde.
Ich bin die einzige Person im Raum, welche sich nicht mit
ihrem Smartphone beschäftigt.
Vielleicht habe ich auch etwas falsch gemacht, denn das
Schild zeigt – wie erwähnt – ein Handy. Die anderen Menschen hier im Raum
beschäftigen sich aber mit Smartphones. Das ist vermutlich der entscheidende
Unterschied.
Dennoch beschließe ich, mein Smartphone ausgeschaltet in der
Hosentasche zu belassen.
Nach kurzer Wartezeit holt mich Herr Professor Dr.
Hassenichgesehen ab und geleitet mich ins Sprechzimmer. Alle meine Werte sind
in Ordnung; die Lungenentzündung kann als erledigt betrachtet werden. Der
Sauerstoffgehalt meines Blutes könnte etwas besser sein, befindet sich aber
nicht in einem Bereich, welcher weitere Veranlassungen erfordert. Ist ja schon
was, zumal die zusätzliche nächtliche Sauerstoffversorgung mittels des
Sauerstoffkonzentrators immer noch nicht steht.
Vollkommen unbegreiflich ist dem Herrn Professor Dr.
allerdings, daß ich in der Nacht gut durchgeschlafen habe. Ein kurzes,
harmloses Schnarchen sei erkennbar, aber
keine flache Atmung oder Atemaussetzer. Ich verstehe jetzt sein Problem nicht,
weil doch das Beatmungsgerät eben dafür Sorge tragen soll. Also sage ich etwas
Belangloses in Richtung, daß es doch schön ist, so etwas zu hören.
Mein Gegenüber sinniert weiter vor sich hin, was denn da
wohl im Krankenhaus geschehen sei, die hätten da ja ganz andere Ergebnisse
gehabt. Nach deren Messungen hätte ich ja über 60 % der Messphase diese
Aussetzer gehabt. Er kann sich das nicht erklären und beschließt, daß wir erst
mal so weitermachen sollen. Im November möge ich nochmal zu einer
Kontrollmessung vorbeikommen.
Ok, kein Problem. Ich vereinbare mit der entsprechenden
Mitarbeiterin einen neuen Termin. Gerade als ich gehen will hechtet Herr
Professor Dr. Hassenichgesehen an. Er hat die Lösung gefunden! Ich hätte ja
schon mit der Schlafmaske geschlafen. Da müsse man ja erwarten, daß das alles
so funktioniert. Damit hätten wir auch die Bestätigung, daß das Gerät richtig
eingestellt ist. So brauche ist erst im Januar einen Kontrolltermin. Gut, also
alles bei der Terminvergabe wieder auf Anfang. Blöd nur, daß ich zum
ursprünglichen Termin ohnehin Urlaub gehabt hätte und für den neuen Termin
wieder zwei Urlaubstage draufgehen werden. Aber ist ja egal, muß ja weg das
Zeug, bevor es verfällt.
Die Mitarbeiterin macht mich darauf aufmerksam, daß ich bei
dem Termin im Januar nicht mehr bei Professor Dr. Hassenichgesehen in
Behandlung sein werde, weil er zum Jahreswechsel seine Kassenzulassung
verlieren wird. Ab dann kümmert sich nur noch sein Praxiskollege um die
Kassenpatienten. Ist mir auch egal. Ein besonderer Sympathieträger war der Herr
Professor Dr. für mich ohnehin nicht, aber doch umgänglich. Der ärztliche
Kollege ist ein jüngerer Typ, blond gefärbte Haare, leicht modernisierte
Popper-Frisur, braun gebrannt, wirkt wie ein Surfer-Typ. Solche Typen habe ich
gefressen. Egal, er bekommt seine Chance.
Und nun? Da ist ja noch was.
Wie es mit dem Fußleiden der zweitbesten Ehefrau von allen
weitergeht, ist an dem Zeitpunkt, zu dem ich diesen Eintrag schreibe, noch offen. Sebastian folgt weiter seinem Verdacht. Und was der
orthopädische Alt-Arzt anhand der noch anzufertigenden neuen Aufnahmen zu
erkennen hofft, wird sich zeigen. Nach der nun doch schon sehr langen Einnahme
entzündungshemmender Schmerzmittel kann die Theorie, daß eine Entzündung die
Ursache allen Übels ist, wohl auch ausgeschlossen werden. Es wird Zeit, daß
sich etwas tut, denn die zweitbeste Ehefrau von allen hat von der örtlichen
Volkshochschule das Angebot bekommen, zwei weitere Kurse zu übernehmen. Keine
Tanzkurse, sondern eher im klassischen Sport orientiert. Da wäre ein zumindest
halbwegs genesener Fuß durchaus hilfreich.
Der Termin mit den Schwiegereltern, Yvonne und uns im
Restaurant Zum kleinen Chinamann ist inzwischen auch erfolgreich erledigt
worden. Die Temperaturen waren an diesem Tag weitgehend erträglich, haben aber
immer noch zu Schweißausbrüchen geführt. Gelernt habe ich, daß man
mitgeschleppte kleine Kinder heutzutage am Tisch während des gemeinsamen Essens
mit Filmen versorgt, welche über mitgebrachte Tablets angeschaut werden können.
Zwei Tablets für drei Kinder mit Mangas in durchaus vernehmlicher Lautstärke.
Wir haben uns gefragt, wie wir früher Restaurantbesuche mit unseren Eltern so
ganz ohne Ablenkung überlebt haben.
Es gab auch wieder eine jener vollkommen sinnfreien
Diskussionen, nach der es meiner Schwiegermutter unverständlich ist, warum man
den die armen Lämmer und die ebenso armen Känguruhs (Old-School, mit h) essen
müssen. Natürlich blieb meine Gegenfrage, warum man denn dann die armen Rinder
und die ebenso armen Schweine Ihrer Meinung nach bedenkenlos essen könne,
unbeantwortet.
Meine Schwiegermutter hat die Planungen zur nachgeholten
Hauptfeier anlässlich der Goldenen Hochzeit noch nicht zum Abschluss gebracht.
Sie hat Yvonne gefragt, wie denn ihr Arbeitsplan so aussehe, weil sie doch zur
Feier dabei sein solle. Hellauf entsetzt erklärte Yvonne, daß das doch wohl jetzt
gerade geschehe und ihre Anwesenheit zur Hauptfeier doch wohl nicht erwartet
werden würde. Dies aber, so meine Schwiegermutter, könne man dem armen Gustav
doch nicht antun, der ja ansonsten außer seiner Frau dort niemanden kenne.
Yvonnes Plan sah da irgendwie anders aus, und ich vermute, sie wird die
nächsten Monate durcharbeiten müssen und absolut keine Zeit mehr finden, um an
der Feier teilzunehmen. Gustav dürfte es kaum etwas ausmachen. Es sind genug
Menschen da, die er mit seinem Müll zuquatschen kann. Es wird ihm vermutlich
nichts ausmachen, daß er keinen davon kennt.
Meine Eltern sind wohl aus der Nummer raus. Seit dem meine
Schwiegermutter damals ins Krankenhaus gekommen ist, gab es keinen Kontakt
zwischen meinen Eltern und meinen Schwiegereltern mehr. Ich gehe davon aus, daß
mal wieder vollkommen unterschiedliche Lebenseinstellungen, Wahrnehmungen von
Situationen und Missverständnissen für das Kommunikationsloch verantwortlich
sind. Die Familien werden nie zueinander finden. Aber das ist nicht mein
Problem, und ich werde es auch nicht zu meinem machen.
Und damit endet die dritte und hoffentlich auch letzte
Staffel der für meinen Geschmack in der Realität viel zu langen Serie Vorstellungen. Soweit sich aus den noch offenen Handlungssträngen etwas ergibt, werde ich berichten.