„Aaargh!“
Mich dünkte eine leichte Verstimmung aus Mandys
Lautäußerung wahrnehmen zu können. Auch
die sich in ein kräftiges Rot verwandelnde Gesichtsfarbe schien meine
Wahrnehmung zu bestätigen. Vielleicht bin ich ja doch empathisch veranlagt. So
ein klein wenig jedenfalls.
Mandy hielt eine geschlossene Akte in die Luft.
„Du erkennst doch auch sofort, daß das hier ein Turboantrag
ist, oder?!“
Aus der Distanz betrachtete ich den immer noch Höhenluft
schnuppernden Aktendeck…
STOPP!
Es besteht
Erklärungsbedarf. Ich sehe es euch ganz deutlich an.
Wie dem kundigen
Blogleser in den letzten Monaten und Jahren des intensiven Begleitens meiner Gedanken
nicht entgangen sein sollte, ist die Eilbedürftigkeit einzelner Vorgänge im LASA
anhand von Statistiken definiert. Die wichtigste aller Statistiken ist die
Laufzeitstatistik bestimmter Anträge. Das bedeutet, daß sehr genau und mit
einem nahezu lächerlichen korrigierenden Begleitaufwand gemessen wird, wie
lange es gedauert hat, nach Eingang eines von dieser Statistik erfassten
Antrages einen Bescheid in der Sache zu erteilen. Andere Formen von Anträgen
und weitere Arbeiten werden als nicht so wichtig eingestuft. Der Grad der
zugeordneten Wichtigkeiten hat dabei nichts mehr mit Realitäten des Lebens zu
tun, aber darum geht es ja auch nicht. Wir arbeiten in einer Behörde. Da hat
Leben nichts zu suchen.
Um die Zahlen der
besagten Statistik möglichst weiter zu drücken, wurde vereinbart angeordnet,
daß von dieser Statistik erfasste Anträge bei Eingang in unserem Haus zentral vorgeprüft
werden. Ergibt diese Vorprüfung, daß ein solcher Antrag augenscheinlich keiner
weiteren Ermittlungen bedarf, wird er zum Turboantrag erklärt und ist innerhalb
einer sich nach wenigen Tagen bemessenden Frist zu erledigen. Gelingt dem
Sachbearbeiter dies nicht, muß er sich dafür rechtfertigen.
Die vorprüfende Stelle
versieht den noch als Loseblattsammlung bestehenden Papierberg mit einem
entsprechenden Hinweisblatt, welches ihn als Turboantrag ausweist, und gibt ihn
in die Sachbearbeitung. Die LASA-Assistenten legen schließlich die Akte an,
platzieren den Hinweis auf den Turboantrag sichtbar von außen an prominenter
Stelle und bereiten alles soweit zur Unterschrift vor, bevor sie den Vorgang an
den Sachbearbeiter zur abschließenden Prüfung und Entscheidung weitergeben.
Wenn dieser nun morgens seine Post aus dem Fach holt, wird er die Akte mit dem
Turboantrag anhand des auf dem Aktendeckel prangenden Zettels direkt finden und
sich seiner sofort annehmen, bevor er andere, wirklich eilige Dinge erledigt.
Dabei ist es vollkommen egal, ob sich aus dem Turboantrag ein Zahlungsanspruch
für den Kunden ergibt, der erst in ein paar Monaten fällig ist, und auf dem
Tisch andere Akten schmoren, in denen wir aufgrund der langen Liegezeiten
bereits Zinsen zahlen müssen. Im Idealfall wird es den Kunden freuen, denn wir
verzinsen natürlich deutlich besser als jede Bank. In anderen Fällen finden
Kunden dies nicht ganz so gut. Insbesondere dann, wenn sie auf das Geld
angewiesen sind.
Wir spulen nun das
eingangs erwähnte Geschehen etwas zurück.
Mandy hielt eine geschlossene Akte in die Luft.
„Du erkennst doch auch sofort, daß das hier ein Turboantrag
ist, oder?!“
Aus der Distanz betrachtete ich den immer noch Höhenluft
schnuppernden Aktendeckel. Es fiel mir nichts auf, was in irgendeiner Form
ungewöhnlich gewesen wäre. Ein typischer LASA-Aktendeckel eben. Aber kein turboantragidentifikatonsfähiger Aktendeckel.
Mandy öffnete den Aktendeckel. Ein grellfarbener Zettel leuchtete mir von der Innenseite entgegen.
„Der blöde Herr Bäcker hat den Turbozettel nicht außen auf
den Aktendeckel getackert, sondern von innen, damit es einem ja nicht sofort ins
Auge fällt. Jetzt liegt das Teil hier schon ein paar Tage herum. Toll.“
Und es bleibt schwierig.
