So begann die übliche Morgenroutine. Ich schaltete den PC an
und ließ ihn hochfahren. Bis zur Herstellung der endgültigen
Arbeitsbereitschaft, vorbei an allen Zwischenschritten und Passwortkontrollen,
würde das etwa sieben bis acht Minuten in Anspruch nehmen. Während dessen galt
es die Höhlenfenster aufzureißen, um den Mief des vorherigen Tages in die sicherlich verdiente Freiheit zu entlassen. Als netter Mitarbeiter begab ich mich wie meistens in
Frl. Hasenclevers Kemenate, um hier desgleichen zu tun, oft gefolgt von Ludwigs
Büro. Hier würden die geöffneten Fenster schließlich für einen ausreichenden
Luftzug sorgen.
Der nächste Gang führte mich gewohnheitsmäßig in die
Teeküche. Hier harrte ein Heißwasserboiler darauf, vor mir in Betrieb gesetzt
zu werden. Beim Einlaufen des Wassers konnte ich schon die kleinen Knusperchen
entdecken, die zahlreichen gelösten Kalkreste, welche mir die Lust auf Tee
schon wieder vermiesten. Nö, lass mal. Heute würde es Wasser aus
Flaschen geben.
Wieder zurück an meinem Schreibtisch bemerkte ich
Ungewöhnliches. Eine Warnmeldung prangte auf dem Monitor. Das Gerät war nicht
arbeitsfähig, es fehlte an Verbindung. Nun denn, so etwas kommt schon mal vor.
Also alles wieder auf Anfang. Computer neu starten? Ja bitte!
Gleiches Ergebnis. Ich kam noch nicht mal auf meinen
Desktop. Damit fehlte mir die Zugriff auf die allseits bekannten
Büroanwendungen des bekannten Markenherstellers Winzigweich als auch auf das
MIST*) sowie das damit verbundene VATeR*)-System. Ich war
von jeglichen technischen Unterstützungen abgeschnitten.
Nun denn. Ich fange meinen Dienst bekanntlich regelmäßig vor
der frühest möglichen offiziellen Arbeitszeit an. Vielleicht waren die
Bereitstellungen aus Bad Husten jetzt noch nicht soweit. Und noch konnte ich
mich ohne elektronische Unterstützung bis zu einem bestimmten Punkt des
Tagesgeschäftes durchaus sinnvoll beschäftigen, indem ich meine Post sortierte
und die entsprechenden Akten beizog. Es lebe das noch nicht papierlose Büro.
Voll Oldschool, aber allzeit bereit.
Das Telefon klingelte. Der Name des Kollegen Maus aus
Indien, also von der anderen Seite des Ganges, prangte auf dem kleinen Display.
Ich nahm den Anruf direkt mit den Worten „Ich
kann auch nicht arbeiten.“ entgegen. Alles klar, ich bin nicht der einzige
Betroffene. Den User-Helpdesk kann ich noch nicht informieren, da dieser zur
eben jetzigen Uhrzeit und voraussichtlich für eine weitere Stunde noch
unbesetzt ist.
Nach und nach trudelten die Kollegen ein. Während die Ebene
der Sachbearbeiter und höher noch teilweise ohne PC arbeiten kann und zum
Beispiel die Arbeit der Assistenten vom Vortag prüft, läuft auf eben dieser
Ebene so gut wie nichts mehr ohne den Rechner. Willkommen in der schönen neuen
Welt. Irgendwann erreichte uns die Nachricht aus Indien, daß unsere gesamte
Außenstelle von der Störung betroffen sei. Und zwar nur unsere Außenstelle. Beim Rest des LASA lief alles wie es laufen
sollte. Der User-Helpdesk habe von sich aus bereits versucht, einen gewissen Herrn
Dr. Strebsinger zu erreichen und diesen zu informieren. Der jüngere Kollege,
welcher den Anruf entgegengenommen hatte, wusste mit diesem Namen nichts mehr
anzufangen. Kein Wunder, hatte Dr. Strebsinger doch schon Anno 2015 das Handtuch geworfen und sich anderen Ortes verbeamten lassen, ebenso wie
aktuell Frau Schubert als seine Nachfolgerin selbiges nach nur drei Jahren auch getan hatte. Bei unserer Fluktuation erschien es
offensichtlich nicht besonders wichtig zu sein, Namensverzeichnisse auf dem Laufenden
zu halten.
Irgendwann kamen auch die sachbearbeitenden Kollegen an den
Punkt, an dem sie ihrer papiergebundenen Arbeit nicht weiter nachgehen konnten
und nun zwingend die EDV benötigten. So sammelte man sich in meinem strategisch
günstig gelegenen Büro. Natürlich konnte ich die Gemüter durch einen beherzten
Griff in meinen Notfallschrank davon überzeugen, daß wir uns im Fall des
schlimmsten Falles den ganzen restlichen Tag über sinnvoll nicht im
Sinne unseren Arbeitgebers beschäftigen können würden. Doch Langeweile könnten
wir eindeutig vermeiden. Im Notfallschrank befand sich nämlich auch der Karton
mit der klassischen Spielesammlung, welche extra für solche Situationen von mir
bereitgehalten wurde. Natürlich nur als teambildende Maßnahme. Das versteht
sich ja wohl von selbst.
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| Ein vielversprechender Karton, gefüllt mit Nostalgie |
Während wir die jahrelang nicht mehr in Anspruch genommene Sammlung
auf Vollständigkeit inspizierten, insbesondere auch um die wichtige Frage zu
klären, ob das enthaltene Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel denn auch in der
Variante für sechs Personen vorliegen würde, erschien Frau von Weißenfels in
der Höhle im Schicksalsberg. Frau
Henriette von Weißenfels ist ihres Zeichens unsere neue Außenstellenleiterin
und hatte just an jenem Tag auch direkt den ersten Tag, an dem sie allein und
ohne Frau Schuberts Hilfe zurechtkommen musste. Aufgrund von Frl. Hasenclevers
Abwesenheit war ich der erste Ansprechpartner für sie in unserem Fachbereich.
Man stelle sich das Bild vor: Die neue Außenstellenleitung kommt erstmals in
mein Büro und findet die Kollegen und mich in einer Spielesammlung vertieft
vor. Wo ist die versteckte Kamera?
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| Die Klassiker |
Wir erörterten kurz die Umstände des Systemausfalls. Oder auch
nicht, denn diese waren noch nicht bekannt. Mir wurde die Befugnis erteilt, die
Kollegen auf deren Wunsch hin bis zu einer gewissen Mindestzahl
Anwesenheitspflichtiger auf eigenes Zeitguthaben nach Hause entlassen zu
dürfen, sofern dies gewünscht sei. Der Rest würde dann wohl bleiben müssen um
aufzupassen, daß niemand die Telefone klaut. Letztendlich flohen nur unsere
anwesenden Telearbeiter in Richtung Homeoffice, denn wie man mittlerweile
erfahren hatte, zeigte sich die EDV auch dort in betriebsbereitem Zustand.
Außerdem gab ich, als Frau von Weißenfels mich nach der Stimmung im Bereich
befragte, mit einem gewissen Grinsen im Gesicht bekannt, daß es mir durchaus
eine gewisse Sorge bereite, daß kaum daß sie das Kommando hier übernommen habe
alles direkt zusammenzubrechen schien.
Anschließend klärten die verbliebenen Kollegen die wichtige
Frage, um welches Spiel es sich denn bei einem von mir hervorgezaubertem
Spielbrett handeln würde, welches in den klassischen Spielesammlungen üblicher
Weise nicht aufzufinden sei und auch nicht zu dieser gehörig war, denn ich
hatte es aus Platzgründen einst selbst hinzugefügt. Während unsere jungen Leute
unterhalb von vierzig Lenzen sowie jene Kollegen, welche ihre Herkunft au dem
Osten der Republik herleiten konnten, nicht mal eine Ahnung hatten, um was es
ging, zeigten sich die Ü-40-West-Kollegen durchaus informiert.
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| Ein Spiel mit Witz - Malefiz. Wer spielt es noch? |
Es handelte sich
um das gute, alte Malefiz. Wieder kam ich mir steinalt vor.
Bevor wir uns diesem letzten Mittel an
Beschäftigungstherapie zuwenden würden, gab es noch einige
Verzweiflungsaktionen. Ich warf einen Blick auf meine Tastatur und stellte
fest, daß sie im Laufe der letzten Jahre, also an sich seit sie als
Neulieferung bei mir in Verwendung ist, gewisse Zeichen höchstpersönlicher
Hinterlassenschaften meiner selbst aufgenommen hatte. Mit anderen Worten: Sie
war pottdreckig.
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| Frisch auf zu neuen Taten - mit uralten Brillenputztüchern |
Also einmal wenden, Krümel rausschütteln, ein
Brillenputztuch (oder auch mehrere) bereitlegen, eines davon zur Hand nehmen
und anfangen, das Ding mal wieder aufzupolieren. Da dies niemand anderes bei
uns macht, gehört dies also auch zu meinen unausgesprochenen dienstlichen
Obliegenheiten. Das Ergebnis zeigte sich nicht in Perfektion, stellte aber
dennoch eine deutliche Verbesserung des Ist-Zustandes in Annäherung an den
Soll-Zustand dar.
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| ***würg*** |
Inzwischen war der halbe Arbeitstag vorbei. Es verbreitete
sich die Information, dass bei Bauarbeiten anscheinend ein Kabel gekappt worden
sein soll. Man arbeite an einer Reparatur.
Frau von Weißenfels wanderte durch die Gänge und hielt ein
ansehnliches Körbchen in der Hand. Süßigkeiten Nervennahrung für alle.
Prima, so kann man arbeiten den Tag verbringen.
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| Keine Werbung, es gab auch Duplo, Hanuta, Mars, Schokobons u. v. a. m. |
So kam schließlich
der große Moment: Eine Stunde vor dem frühest möglichen Ende der zwingend
erforderlichen Anwesenheitszeit war das Kabel geflickt. Also galt es eben noch,
die vorgeprüften Akten an der EDV freizugeben bzw. sie im Falle einer
fehlerhaft aufgestellten Entscheidungsvorlage an den Aufsteller in VATeR als
zurück an Absender einzutragen.
Feierabend. Hat gereicht.
Und wir hatten doch nicht gespielt. Verdammt.








