Wir begeben uns nochmal ein paar Wochen zurück - in die Zeit meines Urlaubs.
Die zweitbeste Ehefrau von allen hatte am Vortag in einem
Studio für Leibesertüchtigungen vertretungsweise einen Kurs übernommen, da die übliche Trainerin mit
einer Lungenentzündung darniederlag. Und sie stellte sich die Frage, wie man
überhaupt auf den Gedanken kommen könne, morgens vor zehn Uhr schon als
Teilnehmer für einen solchen Kurs freiwillig bereitstehen könne. Ihre Uhrzeit ist das nicht, aber was soll man
machen?
Am späten Nachmittag verschwand sie dann wieder zu einem
langen Abend, welcher gespickt war mit orientalischem Tanz. Spätes Heimkommen,
essen, Nachrichten gucken, weiter runterfahren, ab in die Koje.
Und um allen potentiellen Widrigkeiten für den nächsten
Morgen bereits im Vorfeld entgegenzuwirken, welcher zum Ausgleich der Mühsal
des Vortages ihrerseits mit ausgiebigem Matratzenhochdienst vorgesehen war,
erhielt ich die Weisung, in ihrem Zimmer das Fenster sowie wie immer die Tür zu
schließen, wenn ich aufstehen und zum Sport gehen würde. Denn hier in der
Gegend hat sich ein Nachbar in den letzten Tagen angewöhnt, früh morgens schon
seine Kreissäge anzuwerfen. Sollte meine Angetraute just an diesem Tag durch
eben diese Kreissäge oder vergleichbare Geräusche geweckt werden, würde es Tote
geben. Das war sicher.
Ich wachte völlig zerschlagen auf. Mein Rhythmus war in den
letzten Tagen sehr durcheinander geraten. Nachdem ich es in meiner ersten
Urlaubswoche hinbekommen hatte, mehrfach morgens zu noch angetrautenfeindlicher
Uhrzeiten zum Sport zu erscheinen und anschließen ein paar Saunagänge
einzulegen, war dies in der zweiten Woche aufgrund meiner Erkrankung
ausgeschlossen. Jetzt, in der dritten Woche, bin ich zwar wieder einsatzfähig
genug, aber wie gesagt: Der Rhythmus ist kaputt. Das lange Aufbleiben um zu
warten, bis die zweitbeste Ehefrau abends wieder zu Hause ist, um dann das
Essen frisch auf den Tisch zu bringen, hat einiges durcheinander gebracht. Nö,
mit Sport würde das heute nichts geben. Nicht so, wie ich mich fühlte. Es gibt
da bereits einschlägige Erfahrungswerte, die mich bereits im Vorfeld wissen
lassen, wann die Veranstaltung peinlich werden würde.
Aber dennoch stand ich beizeiten auf, um wie versprochen
angewiesen das offene Fenster im Mädchenzimmer zu schließen, bevor die
stadtamtliche Nachtruhe für beendet erklärt und damit das Signal zur
Inbetriebnahme der Kreissäge gegeben sein würde.
Ich schlich mich in den dunklen Raum, vernahm die
Schlafgeräusche meiner Angetrauten und schloss das Fenster möglichst leise. Die
Schlafgeräusche änderten sich nur wenig, also war alles ok.
Das nächste Problem war es, die Tür zu schließen. Ein solches Unterfangen sollte tunlichst nur
in Angriff genommen werden, wenn alle in Frage kommenden Katzen raus sind. Die
Prüfung konnte nur durch Inaugenscheinnahme der restlichen Wohnung erfolgen.
Marty saß brav vor der Tür und glotzte mich an. Sicherheitshalber
zog ich erst mal die Tür zu, bevor ich mich auf die Suche nach den beiden
Mädels begab. Doch die blieben verschollen. Schließlich schnüffelte Marty mit
steil in die Höhe gestrecktem Schwanz an der Tür. Aha, also war doch wieder
jemand eingesperrt. Ich vertrieb Marty, öffnete die Tür und ließ die wartende
Lilly raus, gefolgt von… niemandem. Also Tür zu und Smilla suchen. Doch die fand sich nicht an ihren üblichen
Stellen. Ich wähnte sie auf dem Bett meiner Angetrauten. Also besser abwarten,
bis einschlägige Geräusche darauf hinweisen, daß sie auch raus möchte. Und dann
bloß schnell sein, damit meine Angetraute nicht davon geweckt wird.
Nach einigen Minuten hörte ich ein leises Fiepen. Könnte
passen. Wieder ging es in Richtung Mädchenzimmer. Tür auf – niemand kam raus,
aber zwei stürmten rein. He, der Plan war anders. Ich wartete noch an der
geöffneten Tür, als Lilly auch schon wieder herauskam. Normal. Das Spiel spielen
wir häufiger. Mindestens aber an jedem zweiten Morgen. Marty erschien nicht.
Und auch keine Smilla.
Plan B wurde aktiviert: Die Tür blieb offen, ich breitete
mich mit einem Buch auf dem Monster aus und passte gleichzeitig auf, wann das
Mädchenzimmer von den Vierbeinern verlassen werden würde. Aus dem Augenwinkel
sollte es von hier aus kein Problem sein, die hellen Gestalten der Geschwister
wahrzunehmen. Und Lilly war bei mir, wie immer, wenn ich zu dieser Zeit zu
Hause bin.
Minuten später registrierte ich leises Klacken. Oha, da
rennt jemand die Treppe runter. Diesem Jemand hatte ich dann entgegen aller Erwartung doch nicht im Augenwinkel wahrgenommen. Ja, eventuell anwesende
Literaturverweigerer, so ein Buch kann auch mal spannend sein. Da bemerkt man eben nicht mehr so viel von seiner Umwelt. Das ist fast so,
als ob man sein Smartphone in Händen hält.
Ohne etwas gesehen zu haben wusste ich, daß das
nur Marty gewesen sein konnte. Die Geräusche waren eindeutig. Also wieder
aufstehen und die Tür schließen, denn Smilla würde es erfahrungsgemäß auch noch
stundenlang aushalten können, im Mädchenzimmer zu verweilen. Zumindest so
lange, bis sie pinkeln muß. Ich würde es auf jeden Fall mitbekommen, wenn es
soweit ist. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt ist es stets so, daß der Rest
der Katzenbande außen vor der Tür Stellung bezieht und darauf aufmerksam macht,
daß ein Gefangener raus will.
Warten. Lesen. Weiter warten.
Lilly hat sich wieder an mich angedockt. Ich höre den Kater,
wie er unten im Gartenzimmer rumort. Es ist das typische Klangmuster.
Oh, hallo Smilla.
Wo kommst du denn her?
Katzen sind Gewohnheitstiere durch und durch. Man kann schon
fast Uhren nach ihnen stellen. Aber hin und wieder machen sie doch mal etwas
anders, schlafen nicht auf dem Kratzbaum, sondern auf einem Stuhl. Oder sie
belegen nicht das Katzenkissen vor der Terrassentür, sondern glotzen zu
ungewohnter Uhrzeit von der Fensterbank des Esszimmers in den Garten.
Wehe, man sucht sie zu solch einer Gelegenheit.
Das wird dann schwierig.
Insbesondere bei einem drei gegen einen.